Roadtrip USA Teil 4 – Von Frühling zu Winter im Nebel, Mormonen und eine Wurzelbehandlung

20.-24. März 2015
Von Page über Salt Lake City nach Missoula
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Ja, es gab schöne Landschaften und spannende Menschen. Aber auf dieser Etappe waren die Genossen auf dem Foto oben meine wichtigsten Begleiter. Tausende Kilometer für einen Zahnarzt!

Roadtrip

Heute geht es um die letzten Etappen: Von D (Page) bis H (Missoula, Montana)

Zur Erinnerung: In Page hatte ich vergeblich einen Zahnarzt gesucht. Die Schmerzen an Nummer 29 (rechts unten) wurden indes unerträglich. Selbstmedikation war angesagt. Die amerikanische Pharmacy (= Apotheke) ist ja eher so ein Selbstbedienungsladen, wo man in riesigen Regalen das Mittel seiner Wahl aussuchen kann. Apothekerinnen schwirren da nur so nebenbei herum, um notfalls zu beraten oder verschreibungspflichtige Mittel auszugeben.

Also deckte ich mich erstmal ein: ein Schmerzmittel extra stark und eins mit Schlafmittel drin, dazu ein betäubendes Gel zum Auftragen direkt aufs Zahnfleisch. Zusätzlich nahm ich vorsichtshalber Antibiotika, die wir bereits aus Deutschland mitgebracht hatten.

So verließen wir Page, die Gegend mit den tollen cremeförmigen Steinformationen in Mutterleib-Rosa.

Nächste Übernachtungsstation war Price, ein kleines Örtchen in Utah – dem Bundesland, das fast so ausgesprochen wird wie mein Name.

Auf dem Weg dorthin jedoch hielten wir in jedem größeren Ort Ausschau nach einem Zahnarzt. Die Schmerzmittel konnten meine Pein nämlich nur mühsam in Schach halten, ich war mittlerweile ziemlich zermürbt. Größere Orte gab es aber leider gar nicht viele. Etwa auf der halben Strecke zu unserer nächsten Übernachtung fuhren wir durch Blanding. Und ich entdeckte ein Schild „Dentistry“. Selten war ich so glücklich über den Anblick einer zahnärztlichen Behausung gewesen. Doch bei näherer Betrachtung fielen alle Hoffnungen auf ein Ende der Odyssee in sich zusammen: „Heute geöffnet von 8 bis 12 Uhr“.

Es war halb eins.

Auch ich fiel in mich zusammen. Diesmal waren es Tränen der Verzweiflung, die Olaf wegtrösten musste.

Doch auch in diesem Ort gab es eine kleine Privatklinik mit Notaufnahme. Dort saßen wir einige Stunden, gemeinsam mit vielen Indianern. Auch hier gab es natürlich keinen Zahnarzt, aber eine ungefähre Diagnose und eine Schmerzspritze von einem Allgemeinmediziner (oder von mir aus vom Tierarzt!) waren auch schon eine traumhafte Aussicht.

Nach langer Zeit, die ich wie im Nebel verbrachte (die Tabletten wirkten nicht mehr), kam eine Mitarbeiterin bedauernd auf uns zu: Es sei wirklich zu viel los, wir sollten doch lieber morgen wiederkommen.

Da wurde Olaf aber mal richtig laut.

Und siehe da, plötzlich hatte ein Arzt mal kurz Zeit, schaute sekundenlang in meinem Mund, verpasste mir eine schööööööööne Schmerzspritze und verschrieb mir ein Schmerzmittel mit Entzündungshemmer. Dann kassierte das Krankenhaus rund 100 Dollar in bar, und schon waren wir wieder on the road.

Wie meine Mutter zu sagen pflegt: Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt.

Wir erreichten Price, wo es nur ums Übernachten ging, allerdings in einem netten Motel mit schönen Zimmern und gutem Frühstück zu einem wirklich günstigen Preis: Legacy Inn.

Die Schmerzspritze hielt bis zum nächsten Morgen, die neuen Tabletten waren wirksam, machten den Nebel in meinem Kopf aber noch dichter.

Gut, dass es Fotos gibt, die einem hinterher zeigen, wo man gewesen ist.

Hier die Fahrt nach Salt Lake City: Auf Bahnstrecken fuhren kilometerlange Güterzüge,.

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Die Stadt kündigte sich schon sehr lange vorher mit riesigen Werbeschildern am Straßenrand an. Die flächenmäßig sehr großzügige Hauptstadt von Utah hat gerade mal 186000 Einwohner, wirkt aber bei der Einfahrt wie eine Mega-City. Toll: Die Rocky Mountains rücken näher! Und der Anblick von Schnee!

P1110986Salt Lake City wurde von Mormonen gegründet. Das sind die, wo die Männer vier Frauen haben dürfen. Die Mormomen flohen einst von der Ostküste hierher, weil sie ihre Religion in Ruhe ausüben wollten. Die USA erstreckten sich nämlich noch nicht bis hierher – das Gebiet gehörte offiziell zu Mexiko, war aber quasi unbesiedelt. Weiße gab es noch gar nicht.

Die Mormomen haben hier ihren Hauptsitz mit riesigen Verwaltungsgebäuden und Tempeln. Außerdem ist die ganze Stadt sehr großzügig geplant, mit extrem breiten Straßen und mächtigen Häuserkomplexen. Der Gründer soll einst gesagt haben: „Hier soll eine Pferdekutsche wenden können, ohne dass der Kutscher fluchen muss!“ Denn Mormonen hören es nicht gern, wenn man flucht.

Hier mussten wir also unser Leihauto wieder abgeben und zusehen, wie wir weiterkommen bis Montana.

Nochmal einen Leihwagen nehmen war ja wegen unserer fehlenden Führerscheine nicht möglich.

Das erste, was wir in der Innenstadt sahen: Mormonen in Anzügen. Insgesamt aber wenig Menschen.

IMG_7448Und Frühling! Der Blütenduft drang sogar mal kurz zu mir durch trotz Medikamenten-Nebel.IMG_7454Und auch hier fielen uns viele Obdachlose auf, die mehr als elend aussahen. Vielleicht erst recht, weil die Straßen in den City so breit, leer und sauber sind – und die Banken so fett…

Obdachloser Schilder fordern einen auf, den Bettlern kein Bargeld zu geben. Stattdessen soll man es in diese alten Parkuhren stecken, die einer Hilfsorganisation für Obdachlose gehören.

Eine nette Idee, die hoffentlich funktioniert.

IMG_7456In Salt Lake City warteten wir auf unsere Weiterfahrt. Die war inzwischen organisiert: Im Internet hatten wir nämlich ein kostenloses Kleinanzeigenportal gefunden, wo ich ein Mitfahrergesuch nach Montana aufgegeben hatte. Mit Erfolg! Es meldete sich eine junge Frau, die uns gegen Benzingeld bis Butte mitnehmen wollte. Das ist nur noch zwei Stunden von Missoula entfernt.

Jaclyn war eine sehr unkonventionelle Frau mit Job im Naturschutz, die gern in der Wildnis unterwegs ist und im Zelt übernachtet. Auf meine Frage am Telefon, wie wir ihr Auto erkennen würden, antwortete sie einfach: „It’s a jeep, covered with mud.“ („Es ist ein Jeep, bedeckt mit Schlamm.“)

So hatten wir eine lange, aber bequeme Fahrt mit interessanten Gesprächen. Von Salt Lake City bis Butte braucht man einen ganzen Tag.

P1110997Ich war weiterhin benebelt und hatte nur den Zahnarztbesuch im Kopf – wenn wir endlich bei meiner Schwester in Missoula sein würden, wo wir auch längere Zeit bleiben wollten.

Kaum fuhren wir nach Montana hinein, zeigte sich auch das Wetter von seiner rauen Seite: Es schneite. So haben wir auf dieser Reise doch noch mal Winter erlebt (später sogar noch mehr, siehe nächster Beitrag).

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P1120012Kaffeepause. Das Auto ist inzwischen durch den Schnee etwas sauberer.

P1110998In Butte angekommen, warteten wir in dieser Kneipe auf Schwester und Schwager, die uns hier abholen wollten. Urige Charaktere leisteten uns Gesellschaft.

Davon gibt es hier reichlich. Eigentlich ist fast jeder „quite a character“.

IMG_7465Nach der glücklichen Familien-Wiedervereinigung gab’s gleich ein Willkommensgeschenk von den beiden: Wir zogen direkt in Butte für eine Nacht ins elegante Jugendstil-Hotel „Finlen“ ein.

P1120013Butte ist eine ehemalige Goldgräber- und Kupferstadt, die nach dem Boom viele EInwohner verlor und heute einen herrlich heruntergekommenen Charme hat. Alles wirkt wie damals stehengeblieben. Daher ist sie oft Filmkulisse, z. B, für „Don’t come knocking“ von Wim Wenders. Wir schlugen uns die halbe Nacht in einer zwielichtigen Bar um die Ohren, wo wir Wiedersehen feierten. Dabei erlebten Olaf und ich zum ersten Mal, dass auch coole Cowboys Karaoke singen. Das ist auch hier eine Art Volkssport.

IMG_7469Am nächsten Morgen frühstückten wir im  wunderschönen „Gamer’s Café“, das noch genauso aussieht wie in den Fünfzigern. Die Zeitungsartikel an der Wand sind sogar noch aus den Vierzigern.

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P1120014Und dann ging es endlich nach Missoula, wo ich sofort zum Zahnarzt ging. Dr. Rauckhorst war ein sehr humorvoller Arzt, der es liebte, wenn ich seinen Namen deutsch aussprach – mit richtig schön hart rassendem „r“. Ich tat ihm den Gefallen mindestens 25 Mal – bevor, während und nachdem er mich in einer fast zweistündigen Wurzelbehandlung von einem nervenden Nerv befreite. Dabei hielt mir seine ebenso humorvolle, aber auch sehr einfühlsame Assistentin liebevoll das Händchen.

Dieses Bild zeigt das glückliche Ende meiner Zahngeschichte.

IMG_7495 2Danach zog die nette Assistentin die Kreditkarte durch, und fatz, waren mal eben mehr als 1000 Dollar weg.

Da war ich froh, dass wir vor unserer Abreise doch noch die Auslandsreisekrankenversicherung abgeschlossen hatten, und zwar einschließlich Abdeckung für die USA (das ist gleich ein ganzes Stück teurer). Danke dafür, lieber Schwiegervater!

Was man auf Reisen nicht tun sollte: An der Auslandsreisekrankenversicherung sparen.

Worauf wir uns zu Hause freuen: Olaf: Sauna!

Was wir vermisst haben: Die Wärme der letzten Monate
Wo es weitergeht: in Missoula, Montana. Dort verbrachten wir vier Wochen.

7 Kommentare zu “Roadtrip USA Teil 4 – Von Frühling zu Winter im Nebel, Mormonen und eine Wurzelbehandlung

  1. Wir freuen uns ja darauf, dass ihr bald wieder zuhause seid! Sehr schön! Andererseits können wir dann keinen Blog mehr von euch lesen! Sehr schade! Aber man kann halt nicht alles haben!
    Großes Kompliment, Jutta! Wir haben noch nie so „hautnah“ an einer Reise teilhaben können und sind dabei so gut unterhalten worden. Das ist einfach großartig! Danke für die viele Mühe, die du dir gemacht hast um uns „dabei zu haben“!
    Viele liebe Grüße aus Schutterwald von Christiane, Edwin, Johannes und Sebastian

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  2. Oh du Arme! Zahnschmerzen sind so fies (und ich habe auch schon gemerkt, dass die Amis damit etwas anders umgehen als die Deutschen). Mein Zahnarzt hier ist ein Finne, ich bevorzuge eindeutig die europäischen Ärzte! Viel Spaß weiterhin und ich hoffe, Olaf kriegt bald seine Sauna 🙂

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  3. Wirklich tolle Landschaftsaufnahmen! Sehr schön geschrieben (und sehr humorvoll). Hoffe, dem Zahn geht es wieder besser! Bin sehr gespannt, wie es weiter geht und fühle mich, als ob ich mitreisen würde!

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  4. Liebe Jutta, du weißt, dass ich hier immer lese und mit euch mitreise in Gedanken … und JA, ich hab bereits eine Auslandskrankenversicherung für USA abgeschlossen 🙂 und hoffe nur, dass ich die nicht brauche … Hab mit dir mitgelitten, du Ärmste, wie fies aber auch, wenn sich das so tagelang hinzieht ….

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    • Klar hast du die schon abgeschlossen! 😉 Ist aber wirklich wärmstens zu empfehlen. Und für uns sogar günstiger als unsere Alltagsversicherung vor der Reise. Aus der Gesetzlichen sind wir ja raus für das halbe Jahr.

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  5. Arme Jule, kann mir Dir fühlen! Als ich vor Urzeiten mir rasenden Zahnschmerzen in Luang Prabang (Laos, da seid Ihr auch gewesen) erwartungsvoll ins Distriktkrankenhaus ging, das damals für 100 000!!!! Menschen die einzige moderne Versorgung bereit stellte, da haben sie mir eine relativ gut ausgestattete Zahnarztpraxis gezeigt, nur um mir zu sagen, das sie leider keinen Arzt hätten – Oh Schmerz laß nach!!!!! Die chinesische Medizin, die ich dann in einer „local“ Zahnarztpraxis bekam, hat zwar vorübergehend geholfen, aber ich war doch selig als ich dann in Vientiane einen in der ehemaligen DDR! ausgebildeten Zahnarzt fand. Ich hätte dafür auch 100 DM bezahlt und hab mich gefreut, dass es nur 10.-DM war. Allerdings hatte ich damals auch keinen Heiner, der mir geholfen hätte eine AUSLANDSKRANKENVERSICHERUNG abzuschließen (Hoffentlich bezahlen die Ganoven?!)

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